Bhutan oder das wahre Shangri La

Bhutan oder das wahre Shangri La

Wer jemals in Indien war, weiß: es ist eine faszinierende Herausforderung. Viele Menschen, quirlige (um es diplomatisch auszudrücken!) Städte voll mit ungewohnten Gerüchen und Anblicken und dann auf unserer Tour eine sehr lange Nachtzugfahrt Richtung Sikkim in einem vollen Schlafabteil mit hellem Neonlicht. Manchmal hilft dann nur ein kleiner Schlummertrunk aus dem Flachmann des Reisebegleiters, um die nötige Kojen-Schwere zu erzeugen.

Nach unserer Ankunft in der etwas ruhigeren Seite Indiens, in Darjeeling und Sikkim, wo wir die Sehenswürdigkeiten genießen konnten, tauchten wir wieder in das lebhafte Grenzstädtchen Phintsu ein, welches das verschlossene Tor zum Himmel oder ins Land des Drukjul „Donnerdrachen“, das Staatssymbol Bhutans, bereit hielt. Der Bürokratie geschuldet mit langen Schlangen in Indien bei der Ausreise, heilige Kühe kreuz und quer laufend oder auf der Fahrbahn liegend, müssen wir ein letztes Mal zum Bus und die paar Kilometer zur Grenze fahren. Dann stehen wir endlich vor dem großen, in bunten Farben bemalten und mit Ornamenten des Buddhismus verzierten Tor zum Shangri La - Bhutan.

Dieselbe eine Welt, derselbe Kontinent und mit der Durchfahrt durch das einladende Tor haben wir etwas betreten, wie es kontrastreicher zu Indien zunächst nicht geht: Bhutan. Die Straßen sind sauber, die Luft ist warm aber glasklar, die Menschen traditionell gekleidet und freundlich lächelnd. Ein tiefer Atemzug und ein wunderbar nach Kardamom, Zimt, Anis, Nelken und sonstigen Gewürzen duftender und schmeckender Massala-Chai-Tee verkürzt uns die Wartezeit für das Visum zur Einreise nach Bhutan. Danach geht es mit dem Bus unglaubliche Straßenwindungen immer weiter bergan. Als stünde man vor einer Wand, so schlängelt sich die Bergstraße aus dem tropisch warmen und schwülen Tiefland West-Bengalens in die Höhe. Weiter, immer weiter. Dabei sind wir kaum schneller als 20 km/Std. Unsere Augen können sich nicht satt sehen an den baumbestandenen, in allen Grünschattierungen gehaltenen Berghängen. Erst noch Pflanzen des tropischen Tieflands, wechseln sie später in den Bewuchs der Kiefer- und Tannenwälder der alpinen Landschaft. Die Regierung Bhutans legt größten Wert auf den Erhalt ihrer Wälder. Die Strafen für illegalen Waldeinschlag sind drastisch und so gibt es hier zum Glück noch nicht die großen erodierten Flächen durch Abholzung. 

Wasserfälle sind ebenso von der Straße auszumachen wie kleine Weiler am Weg. Der Baustil ist auch hier einmalig im Himalaya und Gebetsfahnen sehen in Bhutan auch anders aus als im übrigen Himalaya. Wir beschließen, bei strahlenden Sonnenschein entlang der Straße Richtung Thimphu, unserem heutigen Tagesziel, eine Weile zu laufen. Die Beine vertreten tut gut. Kurz vor 14 Uhr erreichen wir unser Restaurant zum Mittagslunch. An einem 270° Grad-Aussichtspunkt gelegen, lernen wir das erste Mal die scharfen Köstlichkeiten Bhutans kennen. Cheese and Chilli sowie roten Reis. Aber vorsichtig mit dem Chilli: es gibt fast keinen schärferen auf der Welt. Die Einheimischen, so wie unser lokaler Guide, verdrücken davon Unmengen. Mir reicht für den Anfang eine Messerspitze und schon ist der Gaumen fast taub und aus allen Poren schießt der Schweiß und ich hechle nach Luft - sehr zum Spaß der Wirtsleute. Nach weiteren Stunden, begleitet von Regenschauern und intensiv strahlenden Regenbögen, erreichen wir bei einbrechender Nacht Thimphu, die Hauptstadt Bhutans. Dort sind die Straßen besser, aber wer ein Lichtermeer erwartet wie es andere Hauptstädte bieten, wird enttäuscht sein. Die Bürgersteige sind hochgeklappt und fast niemand ist mehr auf der Straße. Der Lebensrhythmus ist noch weitestgehend dem Tagesverlauf von Tag und Nacht angepasst. Ich finde, das hat was.

Überwältigt von diesem Tag und seinen Eindrücken, sind wir in einem traditionellen Hotel untergebracht und gespannt auf die Tage, welche vor uns liegen. Apropos, die in jedem traditionellem Hotel auf jedem Flur angebrachten Kästchen an der Wand sind nicht für Postkarten. Auch wenn einige von uns voreilig ihre Karten darin reingesteckt hatten. Unser Reisebegleiter hat sie wieder herausgeholt. Die Kästchen beinhalten Kondome - Safer Sex im Himalaya, von der Regierung unterstützt. Unser Reisebegleiter jedenfalls weiß viel über Bhutan und seine Einmaligkeit zu erzählen. Und mehr und mehr könnte man wirklich meinen: ja, das muss Shangri La sein. Zum Schluss noch eine schöne Anekdote von einem der nächsten Tage - die ist insoweit wichtig, weil sie für das Karma der Gruppe von Bedeutung war.

Wir machen einen Ausflug zu einem bedeutenden heiligen See im Bumthang Tal. Dort angekommen, sind wir fast alleine. Ein Mönch mit schwerer Lederschürze und einem Handschutz aus Holz, gefolgt von seiner sehr alten Mutter, hat den ganzen Weg von Bumthang. mit seiner Körperlänge ausmessend und unter tausenden Niederwerfungen, abgeschritten. Er war noch in der Nacht gestartet, wie er uns verrät. Am See angekommen, betet er an der heiligen Stelle, meditiert und singt seine Mantras und opfert TsaTsas. Wir blieben respektvoll zurück, beobachten ihn und sind alle doch sehr ergriffen. Als wir ihn und seine Mutter dann am Parkplatz wiedertreffen, fragen wir ihn, wie er denn jetzt  zurückkäme, zumal es später Nachmittag sei. Er will doch tatsächlich laufen, was viele Stunden dauern dürfte. Er fragt nicht danach, ob wir ihn mitnehmen können. Aber wir bieten es ihm und seiner Mutter an. Genauso wie wir den beiden Wasser und Kekse schenken. Gerne nehmen sie unsere Einladung an und so fährt unser Bus mit dem Segen Buddhas wieder gen Bumthang. Irgendwo in der Nähe eines Klosters lassen wir die beiden aussteigen. Der Mönch segnet uns alle und so haben wir trotz manch gefährlicher Straße, trotz Nebel am Dorchu La, wo man die Hand vor den Augen nicht sah, trotz Erdrutsch, trotz Feuer in Bumthang, immer Glück auf dieser Reise.

Es gibt keine Zufälle im Leben und ich glaube fest, dass uns dieser Mönch geschickt wurde.

Sven-Torsten Strassner (im Herbst 2019 unterwegs)

Eine Übersicht unserer Reisen nach Sikkim/Indien und Bhutan finden Sie hier.