Kiew - Entspannt ins "Krisengebiet"

Kiew - Entspannt ins "Krisengebiet"

Unverständnis, Besorgnis, schlechte Witze – das waren die Reaktionen der Leute, denen ich erzählte, ich würde nach Kiew reisen. Es wäre gelogen zu behaupten, ich hätte im Vorfeld ein durchweg gutes Gefühl gehabt, aber dennoch wollte ich es wagen und entschloss mich an einer 3-tägigen Inforeise in die Hauptstadt der Ukraine zu partizipieren.


Am Mittag ging unser Flug von Frankfurt in die osteuropäische Metropole. Ein kleiner, aber sehr moderner Flughafen erwartete uns nach knapp 2,5 Stunden Flug. Der Flughafen wurde zur Europameisterschaft 2012 modernisiert, wie auch andere Teile der Infrastruktur in der Stadt, dazu jedoch später mehr. Wirklich sehr selten wurde ich in einem Land so überaus freundlich empfangen.


UA_SM_Kiew_Höhlenkloster_FOC (1)Schon auf dem Weg in die Stadt wird man Zeuge der Geschichte des Landes. Hoch, platzsparend und höchst effizient ragen die sowjetischen Plattenbauten rechts des Dnjepr hinaus. Von einer kulturellen Weltstadt ist soweit noch nicht allzu viel zu merken. Das ändert sich jedoch schnell, denn sobald man den Dnjepr überquert, findet man sich im kulturellen Zentrum der Stadt wieder.


Bereits auf dem Weg in die Stadt werden wir über den historischen Hintergrund Kiews informiert – unnötig zu erwähnen, dass diese Fülle an Information kaum zu merken ist. Zusammengefasst sind die Ukrainer sehr stolz auf ihre Hauptstadt als Zentrum und Ursprungsort des orthodoxen Glaubens und als „Der Anfang von Allem“, wie es unsere Reiseleiterin Natalya schmunzelnd bezeichnete. Über viele Epochen hinweg hat Kiew alle möglichen zerstörerischen Akte durch z.B. die Hunnen oder die Nazis überstanden und wurde immer wieder aufgebaut.


Der erste Abend neigte sich bereits dem Ende. Wir genossen ein typisch ukrainisches Abendessen mit traditionellem Borschtsch (dessen Ursprung laut Natalya nicht in Russland und schon gar nicht in Polen liegt!), Fisch und einer grünen Soße, über deren Komponenten ich nur spekulieren kann. Alles in allem war es jedoch sehr schmackhaft! Danach ging es noch in einen lokalen Pub mit hausgemachten Biersorten, deren Verkostung wir uns nach dem strapaziösen Tag nicht nehmen ließen.


UA_SM_Kiew_grüne Soße unter Fisch_FOCNach einem weniger landestypischen Frühstück im örtlichen Hilton Hotel begleitete uns Natalya zu den zahlreichen Sehenswürdigkeiten. Den Anfang machte das durch Musik und Literatur bekannte „Goldene Tor von Kiew“, dessen Name allerdings wenig mit der roten Farbe des Bauwerks zu tun hat.


 Bei strahlend blauem Himmel und Sonnenschein macht es einfach Spaß den goldenen Kuppeln der orthodoxen Kathedralen im Stadtzentrum beim Glitzern zuzusehen. Versteckt stehen sich die Kontraste der verschiedenen Epochen gegenüber – so ist es für den Laien nicht erkennbar, dass die Sophienkathedrale (11. Jahrhundert) und das St. Michael Kloster (2000 erbaut) am anderen Ende des Platzes aus komplett unterschiedlichen Epochen stammen.


Ein besonderes Highlight war die Besichtigung des Kiewer Höhlenklosters. Sein Glockenturm ragt weit in den Himmel und ist selbstredend mit einer goldenen Kuppel versehen, wie auch die restlichen, kleineren Kathedralen des Areals. Nach einer Besichtigung der Gruft, in der die Einheimischen obskure Rituale durchführen, kann man einen herrlichen Blick auf den unteren Bereich von Kiew, den Dnjepr, sowie auf die Mutter-Heimat-Statue genießen. Mit insgesamt 102 m Höhe ist sie eines der großen Wahrzeichen Kiews.


UA_SM_Kiew_Michaelskathedrale2_FOC Im Jahr 2014 war in den deutschen Medien viel vom „Maidan“, dem Platz der Unabhängigkeit zu hören. Es war Natalya durchaus anzumerken, wie betroffen sie über die doch erst so kürzlich geschehenen, schrecklichen Ereignisse an diesem Ort war. Es tat jedoch gut einmal ganz unverblümt die Sicht eines Einheimischen zum Massaker auf diesem geschichtsträchtigen Ort zu hören. Etwas mulmig war uns allen dann doch zumute als wir über den Maidan gingen, übersät mit Grabkerzen und Gedenktafeln, um an die so sinnlos ermordeten Menschen zu erinnern. Ich musste immer wieder schlucken, als ich das Alter der Getöteten sah, teilweise junge Männer im Alter zwischen 16 und 18 Jahren. 


Dass es in unserer „modernen“ Welt zu einem solchen Akt der Grausamkeit kommen kann, ist traurige Realität und auch die Menschen sind an diesem Ort nicht mehr so munter und offen wie in den restlichen Teilen der Stadt.


Mit gemischten Gefühlen ging ich abends zu Bett und hatte einigen Stoff zum Nachdenken. Auf der einen Seite ärgere ich mich über die eindimensionale Berichterstattung unserer Medien, in der die ganze Ukraine verteufelt wird, auf der anderen Seite gibt es mir aber auch zu denken, dass wir uns davon so sehr beeinflussen lassen.


UA_SM_Kiew_auf dem Maidan_FOC (1)Ich kann nur sagen, dass ich mich selten in einer Stadt so sicher und wohl gefühlt habe und hätte gerne noch einige Zeit länger dort verbracht. Jedem kann ich nur empfehlen, sich sein eigenes Bild von dieser wunderbaren Stadt mit ihrem ganz besonderen Flair zu machen.


Am nächsten Morgen stand dann zu unser aller Bedauern bereits der Rückflug an und ich freue mich schon auf meinen nächsten Besuch in Kiew mit seinen goldenen Kuppeln und seinen besonderen Menschen...


Simeon Matthes

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