Ins Kino gehen in Indien

Ins Kino gehen in Indien

In Indien und speziell im armen Wüstenstaat Rajasthan werden Ehen immer noch von den Eltern arrangiert. Man heiratet selbstverständlich innerhalb der eigenen Kaste. Die Liebe kommt dann im Laufe der Zeit – im besten Fall!

Ein junger Mann, gerade seit einem Jahr verheiratet, antwortete auf meine indiskrete Frage, ob er seine Frau denn möge nur mit einem lakonischen "yes, why not?" Immerhin, die Frau ist gehorsam gegenüber ihrem Ehemann und den im selben Haushalt lebenden Schwiegereltern, damit hat sie ja aus Sicht des jungen Mannes schon mal einen gewaltigen Vorteil gegenüber vielen deutschen Frauen.
Gibt es denn in einem Land, in dem man junge Menschen so pragmatisch zusammenbringt, keine romantische Liebe?

Ich selbst finde es angenehm, dass man als europäische Touristin in Indien kaum angemacht wird, kein Sexismus, die Blicke sind eher interessiert als sexuell aufdringlich. Nackte Oberschenkel werden nicht angestarrt wie schmackhaftes Fleisch, sondern eher wie sonderbare Gerätschaften aus einer fernen Galaxie.
Naja, es könnte auch daran liegen, dass diese Wahrnehmung nur an meinem Alter liegt. Schließlich bin ich mit 37 Jahren hier eine Dame in einem Alter, vor dem man fast schon Respekt haben könnte. Allerdings passt das doch nicht so ganz, denn ich habe trotz meines Alters weder einen Sohn geboren, noch eine Tochter. Die Dame, zu deren Andenken das Taj Mahal, das berühmteste Bauwerk Indiens, ein Denkmal aus zu Stein gewordener Liebe erbaut wurde, starb mit 38, bei der Geburt ihres 14 Kindes...
Wir Europäer haben auf diese kinderreichen Familien natürlich eine andere Sicht: Neulich streckten sich mal wieder hunderte kleine, dürre, bettelnde Arme in unsere Richtung. Flehende Blicke, rotzige Nasen, strubblige Haare. Eine Frau aus unserer Gruppe bemerkte trocken: „All diese Kinder werden wieder Kinder bekommen, das ist das Elend der Welt!“ Und tatsächlich: Indien wird China überholen und in wenigen Jahrzehnten das bevölkerungsreichste Land der Welt sein!

Also noch einmal die Frage: Gibt es in so einem Land, wo man junge Menschen nach Herkunft und Familie zusammenfügt auch romantische Liebe? Liebe gibt es sicherlich, ist aber in Indien generell und unter den Hindus schon gar nicht üblich. Dennoch bleibt sie für die meisten Inder eine ewige, unerfüllte Sehnsucht, welche durch die schwülstigen Bollywood-Filme noch zusätzlich geschürt wird.

Bollywood selbst ist natürlich auch eine Fantasie-Geburt, ist es doch eine Wortschöpfung zwischen Bombay - heute Mumbai - und Hollywood. In Mumbai sitzen die großen indischen Produktionsfirmen. Hier wird mit Träumen und Sehnsucht inzwischen mehr Geld umgesetzt, als in der amerikanischen Traumfabrik. Raj Mandir-Kino Jaipur

Ich entschied also, mit meiner Gruppe ins Kino zu gehen, um einen indischen Film anzuschauen und die Atmosphäre in indischen Kinos zu erleben. In Jaipur, der pinken Hauptstadt Rajasthans, gibt es ein bekanntes Kino, welches wir in erwartungsvoller Vorfreude aufsuchten. Die Reiseführer verkündeten vollmundig, dass es von Innen in schönster Stuckdekoration geschmückt sei.

An unserem Kinoabend stand nur ein einziger Film auf dem Programm, das lag daran, dass das Kino nur einen Vorführsaal besitzt. Der Film hieß "Blue" und auf dem Filmplakat waren Darsteller zu sehen, die kaum indisch aussahen und Taucheranzüge trugen. Unmut machte sich in der Reisegruppe breit, schließlich wollte man etwas echt Indisches sehen. Dann stellte sich heraus, dass der Film tatsächlich sowohl in Indien produziert worden war und auch die Schauspieler fast alle Inder waren, auch wenn dies auf den ersten Blick nicht zu erkennen war.


Bollywoodstar kann nur werden, wer sehr helle Haut hat. Die Bollywood-Schauspieler werden hier nahezu gottgleich verehrt und die männlichen Stars haben oftmals mehrere Frauen, was zwar eigentlich bei den Hindus nicht üblich ist, aber wer es sich leisten kann...
Der Film war natürlich auf Hindi, wir konnten also den Text nicht verstehen, aber die Bilder sprachen für sich. Die im Reiseführer angekündigte Stuckdekoration bestand meiner Meinung nach aus bunt bemaltem Pappmaschee: der Vorraum und auch der Kinosaal sahen aus wie riesige Sahnetorten. Bei Kinopreisen, die sich zwischen einem und zwei Euro pro Karte bewegen, wird nur die indische Mittel- bis Oberklasse angesprochen. Diese saß barfuß, aber elegant gekleidet im Vorraum, aß Popcorn und trank Cola. Für diejenigen die es sich leisten können, befand sich praktischerweise direkt nebenan das berühmteste Familienrestaurant der Welt: McDonald's.


Wir setzten uns auf unsere Plätze sobald der Vorführraum geöffnet wurde und freuten uns über die Werbung und die Vorschau! Irgendwie war das Bild verzerrt, die Darsteller sahen alle pummelig aus. Aber später wurde dieser Schönheitsfehler korrigiert und erotische indische Kurven, die es auf der Straße niemals zu sehen gibt, flimmerten über den Bildschirm.
Derweilen war das Publikum wie in einem europäischen Kinosaal mit Popcorn beschäftigt oder mit telefonieren, Babys schrien und ein Aufpasser ging mit Taschenlampe durch den Saal, um zu verhindern, dass sich auch niemand mit billigen Karten auf die teuren Plätze gesetzt hatte.
Bevor der Film los ging, flimmerte noch ein auf Englisch geschriebener Hinweis ans Publikum über die Leinwand, dass sämtliche Stunts von professionellen Stuntmen gedreht worden wären und sie sich nicht zum nachmachen eigneten.
Dann ging es los: Ein Bollywoodstar, oben ohne!!! Es war zwar nur ein Mann, dennoch, aufregend genug! Ein Schrei ging durchs Publikum. Muskulös uiuiui - und sogleich wurde ein Kampf gezeigt, Held gegen Hai! Wir sahen im Verlaufe des Films noch weitere spektakuläre Szenen: Boxkämpfe, Motorradrennen, Gelegenheiten, bei denen sich der Mann sich noch als echter Kerl präsentieren kann!
Shah Rukh Khan Die Frauen waren sanft und süß, sinnlich und manchmal auch ein bisschen frech! Wahrscheinlich ist dies ein Frauen-Typ, den jeder Inder gerne mal vernaschen, aber keiner heiraten möchte!
Zwischendurch musical-artige Tanzeinlagen, Erotik pur: Körper, die sich sinnlich aneinander schmiegten, Brüste, die aus Bikini-Oberteilen quollen, Lippen, die sich über Haut bewegten, hellbraune Haut, die sich im Sand räkelte und durchs Wasser glitt. Doch niemals wurde ein blanker Busen in die Kamera gehalten oder ein echter Kuss gezeigt!

Da der Film „Blue“ hieß und viel mit Ozean zu tun hatte, tanzten unsere Helden auch unter Wasser gemeinsam mit Delfinen! Selbst uns Westlern wurde heiß und sehnsüchtig zumute.

Die Schlussszene bot eine weitere aufregende Verfolgungsjagd. Motorräder, die als Geisterfahrer auf der Autobahn gegen den Verkehr um die Wette rasten. Das Ganze endete mit einer riesigen Karambolage und einem apokalyptischen Feuer- und Rauchpilz. Ich konnte mir nicht verkneifen, trocken anzumerken: "Ich glaube nicht, dass die dafür Stuntmen brauchten, ich vermute, die haben sich einfach nur einen Tag lang mit laufender Kamera an die Autobahn gestellt und den ganz normalen Wahnsinn aufgenommen!" Einer meiner Gäste widersprach mir doch sogleich vehement. "Nein, das kann nicht auf einer echten indischen Autobahn gedreht worden sein, schließlich sah man dort gar keine Kühe!"

Anuschka Debes

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