Zu Tisch mit den Geistern – Praktisch gelebter Animismus in Thailand

Zu Tisch mit den Geistern – Praktisch gelebter Animismus in Thailand

Überall um uns herum leben Geister verschiedenster Arten. An allen Orten trifft man auf sie - in unseren Wohnhäusern, in Stadt und Wald, in der Luft, in und auf dem Fluss und dem Meer. Sie waren schon lange vor uns Menschen da, wir sind in ihren Lebensraum eingedrungen, können sie nicht sehen, sie aber sehen und umgeben uns.

Zumindest glaubt man in Thailand daran. Hier ist der Geisterglaube sehr stark verbreitet. Der Animismus, die Basis dieses Geisterglaubens, ist weit älter als die in Thailand vorherrschende Religion des Buddhismus und spielt deshalb auch im täglichen Leben eine wichtige Rolle.

Geister können das Leben positiv oder negativ beeinflussen. Fast alles lässt sich also Geistern in die Schuhe schieben: Fußball-Tipp versemmelt, Hochzeitstag vergessen – ein Geist war schuld; die Zusage für ein neue Anstellung erhalten, ein gesundes Kind in die Welt gesetzt – auch das ist einem Geist zu verdanken.

Doch ob gut oder böse gesinnt, alle Geister haben eine Gemeinsamkeit: man kann sie durch Opfergaben besänftigen oder motivieren und das kann natürlich nie schaden.
Daher wird vor allen wichtigen Anlässen, also bei Geschäftseröffnungen, Heirat, Autokauf etc. eine Opferzeremonie abgehalten. Ort dieser Zeremonie ist in der Regel ein Geisterhäuschen, über das jedes Grundstück in Thailand verfügt (denn, möchte man ein Haus bauen, muss selbstverständlich der auf dem Grundstück wohnende Erdgeist besänftigt werden und das geht nur, indem man ihm ein alternatives, standesgemäßes Domizil zur Verfügung stellt).

DSC05756Etwas anders verläuft die Opferzeremonie an der Küste Südthailands. Hier lebt das Volk der Chao´le, das jeweils zur Monsunzeit im Frühjahr und im Herbst ein besonderes Geisterfest zelebriert, das so genannte Loy Rüa-Fest. Dabei werden gemeinschaftlich spezielle Segelboote gebaut und von einem Priester mittels festgelegter Rituale geweiht. Dann werfen die Chao´le symbolische Gegenstände (auch Haare und Fingernägel) auf die Boote, die das gesamte Unglück des Dorfes enthalten und von dem Boot weit weggetragen werden sollen. Anschließend bestückt man die Boote mit vielen verschiedenen Speisen und zieht sie vor Sonnenaufgang mittels eines Motorboots auf Meer hinaus, um sie dort den Geistern des Meeres zu übergeben. Dabei muss umsichtig gehandelt werden, denn sollten die Boote durch den Wind wieder an den Strand zurückkehren oder Sonnenstrahlen die Boote erfassen, so würde das Dorf von einer Pechsträhne erfasst.

Die Geisterhäuschen in den Städten und Dörfern Thailands sind weit verbreitet und haben immer Hochkonjunktur. Einst waren sie individuell und verschieden, inzwischen werden sie allerdings serienmäßig hergestellt. Individuell sind sie jedoch noch immer in der Einrichtung. Jedes Häuschen wird mit kleinen Figürchen aus Ton oder Holz bestückt (teilweise sind diese lebenden Personen nachempfunden, stellen Fabelwesen oder Tiere dar) und mit bunten Lichterketten behängt, die nachts erleuchtet werden.

Bei der Opferzeremonie werden im Geisterhaus die verschiedensten Speisen und Getränke dargereicht, Räucherstäbchen und Feuerwerkskörper entzündet, versöhnliche Worte gemurmelt oder gedacht. In den Städten geht dieser Brauch mehr und mehr verloren, auf dem Land wird er jedoch immer noch sehr ernst genommen und gelebt.

Der schönste Brauch dabei ist meiner Meinung nach, dass nach erfolgter Zeremonie die Opfergaben meist zurück ins Haus getragen und dort mit der Familie, Nachbarn und Freunden mit Genuss verspeist werden.

Menschen und Geistern scheint dies gleichermaßen zu gefallen. Und es schadet ja auch nicht!

Ulrich Peter Baumann

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